Warum ich noch immer kein echter Rheinländer bin
- gaarz8
- 5. Nov. 2023
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juli 2024
Folge 1
Fischkopp: ein waschechter Hamburger bin ich schon. Von meiner Heimatstadt war allerdings 1947 – meinem Geburtsjahr – nur wenig übriggeblieben. Die Straße "Herrlichkeit", in der meine Mutter aufwuchs, hatte aufgehört zu existieren. Sie lag an einem der Fleete in unmittelbarer Nähe des Hafens. Verschwunden war auch das Fleet selbst; es wurde nach 1943 zugeschüttet. Man hat später Bürohäuser auf den Trümmern errichtet. „Herrlichkeit“ – welch ein Straßennamen-Hohn angesichts der Feuerstürme in den Bombennächten des Krieges.

Immerhin hatten meine Eltern überlebt. Meine Mutter Elsa (Jg. 1915) in einem Bunker unter der Reeperbahn, und mein Vater Hans-Georg (Jg. 1914) überstand sechs Kriegsjahre an der Ostfront. Er war Sanitäter und hat nie über seine Kriegserlebnisse gesprochen. Nur manchmal sagte er: „Ich hab’ alles gesehen.“
Nie wieder Krieg, so wuchs ich auf. Geprägt auch von meiner Lehrerin Anita Sellenschloh, einer erbitterten, aber nie verbitterten Widerstandskämpferin. Nach ihr ist heute ein Stadtbezirk benannt. Sie war nicht die einzige Nazigegnerin in der Nachbarschaft. In unserer Siedlung in Hamburg-Langenhorn lebten mehrere der KZ-Überlebenden. Von den Männern habe ich in Erinnerung, dass sie sehr gebeugt gingen; wir grüßten sie höflich (so hatten uns die Eltern aufgetragen), aber sie nahmen uns kaum zur Kenntnis.
Genug (vorerst) der Historie und zurück zum Titel dieses Blogs: "Ein Fischkopp in Kölle" heißt er, aber diese Selbstbeschreibung stimmt nicht. Obwohl ich seit 40 Jahren in verschiedenen Orten im Rheinland wohne. Aber nicht in Köln. Sondern im zurückliegenden Vierteljahrhundert "auf der schäl Sick" von Köln: in Bergisch Gladbach, einer grünen Oase, angereichert mit einem prächtigen Barockschloss und mehreren Gourmettempeln. Trotzdem eigentlich ein gesichtsloser Vorort – eben auf der "falschen" Seite des Rheins. Und dass Heidi Klum von hier ist, macht den Ort auch nicht ansehnlicher.
Ich werde von nun an in regelmäßigen Kolumnen beschreiben: "Warum ich noch immer kein echter Rheinländer bin", so der Untertitel. Ich tue es ohne Wehmut. "Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn", spukt mir schon lange nicht mehr im Kopf herum. Und keine Angst, ich will möglichst wenig Vorurteile aufwärmen. Zum Beispiel das mit der Karnevalsferne von uns Norddeutschen. Ich kenne inzwischen alle Texte – zumindest die ersten Strophen – der Karnevals-Gassenhauer von den Höhnern, den Bläck Fööss, Brings und Co. ... und singe sie leise mit, wenn ich mir den Kölner Rosenmontagszug im Fernsehen anschaue. Vorzugsweise bei einem Kurzurlaub auf Amrum oder in Greetsiel, und bei einer kleinen Flasche "Friesengeist" (igitt, dat seute Zeugs).
Einmal, das muss als letzte Anmerkung zum Fastelovend genügen, fühlte ich mich mittendrin: Als der kleine Refrather Karnevalszug an unserem Haus vorbeiträllerte, und wir Biertische aufgebaut hatten und Glühwein an Nachbarn und Vorbeiziehende ausschenkten. Ich wurde in den Arm genommen und herzhaft gedrückt. So viel Nähe war für einen Fischkopp zwar ungewohnt. Aber seitdem spüre ich einen Hauch von Heimisch sein – als "einer von uns".



