Das Hyggeland mit Schattenseiten
- gaarz8
- 12. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Juni
Folge 14
Urlaub ist reine Privatangelegenheit. Das gilt es zu respektieren; deshalb verkneife ich mir Wertungen über Urlaubsziele. Weil sie verallgemeinernd auch falsch sind: Mallorca-Urlauber suchen nicht alle den Ballermann. Sondern lassen sich von der den schroffen Berglandschaften, den Zitrusfeldern und dem kristallklaren Meer verwöhnen. Und umgekehrt suchen Island-Urlauber nicht alle die unberührte Natur. Sondern genießen die selbstlose Freundlichkeit und die Geselligkeit des Inselvölkchens.

Meine Familie und ich bekennen uns zu unserem Haupturlaubsziel: dem hyggeligen Dänemark. Wir lieben die heitere Gelassenheit der Dänen, ihre Ruhe und die entspannte Atmosphäre, die sie verbreiten. Wir lieben die rauhe Nordsee und die Dünenlandschaft an der Westküste mit den Ferienhäusern (ökologisch fragwürdig) mittendrin … immer schön auf Abstand. Das unterscheidet sich von dem Urlaubsgefühl in den Center-Parc-Reihenhaussiedlungen mit Kinderanimationen, wie wir sie aus Holland kennen. Oder von der Ostseeküste. Warum, frage ich, müssen es immer große Ferienzentren sein, dicht an dicht, möglichst uniform und mit vollem Eventprogramm?
Übrigens merkt man selbst in Holland, Spanien oder auf den Balearen sofort, wenn man von Deutschen umgeben ist. Da wird vor den Supermarkt-Einkaufskassen gedrängelt und geschubst, da tobt ein Krieg um die besten Strand- und Pool-Plätze, da herrscht die gnadenlose Parkplatzsuche: „Ätsch, meiner, ich war zuerst da!“
Für unseren jährlichen Dänemark-Urlaub nehmen wir auch die lange Anreise in Kauf. Denn wenn wir in einem unserer Ferienhäuser ankommen, hat die Erholung bereits begonnen. Sie startet direkt hinter der Grenze, wenn auf Autobahnen nur noch maximal 130 gefahren werden darf (PS: Wann endlich auch bei uns?) und die Rastplatztoiletten vor Sauberkeit strahlen (PS: Wann endlich auch bei uns?).
Wie gesagt, in Dänemark spürt man allenthalben hyggelige Gelassenheit. Selbst im Umgang mit uns Deutschen. Die einst 7.000 bis 8.000 Bunker-Schandmale aus deutscher Besatzungszeit prägen zwar nach wie vor die Strände, aber sie werden als Bestandteile der Natur akzeptiert. Im Heimatmuseum von Ringkøbing hat man sogar einen deutschen Bunker nachgebaut. Das Original erkannte ein deutscher Tourist und damals 18-jähriger Besatzungssoldat als „seinen“ Bunker wieder, der ursprünglich in der Nordsee versunken und dann nach einer Sturmflut aus dem Meer aufgetaucht war. Mitsamt dem konservierten Inventar und einer Namens-Schuhbürste des damaligen Bunkersoldaten.
Museen gibt es an der Westküste genug. Ein neues, 2022 eingeweihtes ist das FLUGT(Flucht)-Museum in Oksbøl. Dort stellen sich die Dänen einem wenig beachteten und verdrängten Teil ihrer jüngeren Geschichte. Das futuristische Museumsgebäude entstand direkt neben dem deutschen Kriegsflüchtlingsfriedhof. Zwischen Februar und Mai 1945 nahm Dänemark rund 250.000 Flüchtlinge von der Ostfront auf – größtenteils Frauen, alte Menschen und Kinder. Oksbøl war das größte Flüchtlingslager. Die damaligen Baracken wurden danach abgerissen, der Flüchtlingsfriedhof blieb. Erschüttert sahen wir, dass eine große Zahl der Gräber die Daten von Säuglingen und Kleinkindern tragen. Reihe um Reihe, Kreuz um Kreuz. Über die „vergessenen Kinder von Oksbøl“ gab es vor Eröffnung des Museums eine heftige Debatte in Dänemark. Warum mussten so viele so jung sterben? Weil sich dänische Behörden und Ärzte nach 1945 geweigert hätten, den Kranken „des Feindes“ zu helfen, sagen wissenschaftliche Untersuchungen. Wobei man wissen sollte, dass die Dänen unter der deutschen Besatzung besonders zu leiden hatten. Aber darf man seine Verbitterung an den Schutzlosesten einer Gesellschaft auslassen? Damit sind wir wieder im Hier und Heute.
Nach fast 75 Jahren ist das Flüchtlingsmuseum in Oksbøl ein Neuanfang und ein Sonnenstrahl zugleich. Denn es blickt nicht nur zurück. Beispielhafte Geschichten von Flüchtlingen aus Ungarn, Vietnam, Afghanistan, Syrien und der Ukraine veranschaulichen die Aktualität. Passt das zu Dänemarks seit einigen Jahren betriebenen, äußerst restriktiven und resoluten Flüchtlingspolitik? Ich bin unschlüssig. Zwar fasziniert mich das konsequente dänische Vorgehen. Aber bleibt dabei nicht mehr als nur ein Stück Menschlichkeit auf der Strecke?
PS: Mein Vater, Wehrmachtssanitäter an der Ostfront, verdankt den Dänen seine Heimkehr. Er war mit einem der letzten Flüchtlingsschiffe von Ostpreußen nach Dänemark gekommen. Dort wurde er kurzzeitig interniert, dann mit dem Notwendigsten versorgt und konnte sich zu Fuß auf den Weg nach Hamburg machen. Da bin ich nun.








