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Frisch verliebt mit 90

  • gaarz8
  • 26. Dez. 2023
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Apr.

Folge 3


Am 7. Januar 2024 wurde sie 90. Und ist so munter und fröhlich, wie ich sie noch nie kannte. Das liegt an Ernst, 93.

  

Der Reihe nach: Meine Schwiegermutter Ingeborg M., Jahrgang 1934, ist eine gebürtige Bremerin und Norddeutsche durch und durch ... keine rheinische Frohnatur, eher hanseatisch zurückhaltend und auf Distanz bedacht. Sie legt Wert auf elegante Kleidung und gepflegtes Äußeres. Dann kam die Zeit, als ihr Gedächtnis nachließ und ihr vieles zu viel wurde. Zum Beispiel die Sorge um das große Zweifamilienhaus im Bremer "Viertel", das sie seit dem Tod Ihres Mannes allein bewohnte. Ihr Zustand wurde nicht besser, als sie ins Betreute Wohnen zog. Erst recht nicht, als sie den weiten Umzug von Bremen ins Seniorendomizil nach Kürten im Rheinland wagte. Immerhin war da eine ihrer Töchter in der Nähe. Das Resultat: das Telefon klingelte bei den beiden Töchtern mehrmals am Tag: "Ich finde die TV-Fernbedienung nicht. Und überhaupt, alles ist so schrecklich."

 

Doch plötzlich, von einem Tag auf den anderen, gab es eine neugeborene Ingeborg. Das war, nachdem sie mit Ernst aus dem Nachbarappartement ins Gespräch gekommen war. Und beide aneinander Gefallen gefunden hatten. Ernst F. aus Leverkusen, ebenfalls Witwer und körperlich wie geistig trotz seiner 93 Jahre noch sehr beeindruckend, zog – natürlich – die Blicke der weiblichen Mitbewohnerinnen auf sich. Ich vermute, er genoss sie sogar. Jedenfalls kenne ich ihn nur mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Ingeborg gewöhnte sich an, einmal in der Woche die hauseigene Friseurin zu besuchen. Und ihre Telefonate wurden immer weniger, bis sie dafür keine Zeit mehr hatte. Ihre Zeit galt Ernst.

 

Die vorher im Verborgenen lebende Ingeborg wurde mit ihrem Begleiter schlagartig zum Mittelpunkt der Senioreneinrichtung. Mit Freude erzählt die Domizil-Direktorin Britta B., wie die beiden händchenhaltend durch die Gänge schlendern. Ingeborg und Ernst nehmen jetzt nicht nur zusammen ihre Mahlzeiten ein ("... schauen Sie, wie sie seinen Arm streichelt"), sie treffen sich bei der Senioren-Gymnastik, im Singkreis, zum Tanz-Nachmittag und bei organisierten Museumserkundungen. Bei Festlichkeiten im Haus traut sich Ingeborg, kurze Gedichte vorzutragen. Ernst freut sich mit ihr. Und zwischendurch gibt es eine sanfte Umarmung oder ein kurzes Küsschen, bevor sie sich wieder in ihre eigenen Appartements zurückziehen.

 

Vielleicht ist es sogar ein Gewinn, dass Ingeborg sich nicht mehr an alles erinnert und im Hier und Heute lebt. Sie wirkt freier und gelöster, unbeschwerter. Sie strahlt Glücklichsein aus. So hatte der Umzug von Bremen ins Rheinland doch noch ein Happy End. Fast wie im Kino.


PS: Das Happy End ist zu Ende. Meine Schwiegermutter starb am 27. Februar 2025 – ohne Schmerzen, ohne Qualen. Die Familie konnte sich von ihr verabschieden. Ruhe in Frieden.


ree

 

 
 

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„Manchmal ist das Glück am größten, wenn es ganz klein ist. Deshalb würde ich, wenn ich mein Leben aufschreiben müsste, nur Kleinigkeiten notieren“ –Franz Kafka

 

Geschlechtsneutrale Ansprache. Für die bessere Lesbarkeit verzichte ich auf die Verwendung geschlechtsspezifischer Sprachformen. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter (m/w/d)

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